ESC 2019: Holland oder Schweden, Hauptsache Australien – das sind die Favoriten für Tel Aviv

Die Bilanz der Niederlande beim Eurovision Song Contest ist um einiges besser als bei der Fußballweltmeisterschaft. Vier musikalische Siege können unsere Nachbarn bei dem Musikwettbewerb für sich verbuchen. Damit steht es bei ESC vs. WM für die Holländer 4:0 – auch wenn der letzte Sieg Jahrzehnte (1975 mit dem Song „Ding-a-dong“) her ist. Am Samstagabend soll in Israel die lange Durststrecke beendet werden. Die Niederlande liegen in den Wettquoten vorne. Doch seit Beginn der Proben im Expo-Center in Tel Aviv haben gleich mehrere Kandidaten die Aufholjagd gestartet. Das sind die Favoriten beim ESC 2019.

Niederlande: Duncan James, „Arcade“

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Der Auftritt von Duncan James hat etwas von Nicole: Ähnlich wie die deutsche Siegerin von 1982 verzichtet der Niederländer auf Bühnen-Schnicknack und sitzt nur da und singt – allerdings nicht mit der Gitarre, sondern am Klavier. Seine Ballade ist ein Song über eine nicht zustande gekommene Liebe. Die singt James so einfühlsam und eindrucksvoll, dass es einem das Herz bricht. „Arcade“ fordert von seinem Interpreten viel. Besonders die hohen und leisen Töne meistert der 25-Jährige „The Voice“-Kandidat mit Bravour. Ein Gänsehaut-Song – und das Gegenstück zu Nettas Gute-Laune-Hit „Toy“ aus dem vergangenen Jahr. James sammelte in Tel Aviv viele Sympathien bei den Fans. Sein Sieg wäre verdient. Doch es lauert starke Konkurrenz.

Schweden: John Lundvik, „Too Late For Love“

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Sie können es halt: Seit dem Sieg von Loreen 2012 („Euphoria“) singen die Schweden jedes Jahr um den Sieg mit (und holten ihn 2015 mit „Heroes“ und Mans Zelmerlöw erneut). Die schwedische Dominanz beim ESC gefällt nicht allen. Einige halten die Songs für zu berechnend auf Erfolg getrimmt, für zu durchgestylt. Auch der Titel von John Lundvik ist auf Instant-Appeal ausgelegt. Mit Gospel-Elementen aufgepeppt, geht „Too Late For Love“ auf Anhieb ins Ohr. Sänger Lundvik, der von schwedischen Eltern adoptiert wurde, ist ein Charmebolzen und gewann die schwedische Vorauswahl „Melodifestivalen“ mit einem Erdrutschsieg. Das liegt nicht nur am Song, den er mitkomponiert hat, sondern an seiner Bühnenpräsenz. Genial ist auch die Inszenierung mit einem aufblendenden LED-Dach. Den Schweden fällt eben immer was ein. Deshalb ist gut möglich, dass der 36-Jährige den dritten Sieg in sieben Jahren nach Stockholm holt.

Australien: Kate Miller-Heidke, „Gravity“

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Das australische Fernsehen ließ in diesem Jahr zum ersten Mal das Publikum über den Beitrag für den ESC abstimmen. Herausgekommen ist eine Nummer, die vor Eurovisions-Klischees trieft: „Gravity“ ist eine Pop-Arie mit klassischen Opern-Elementen, die beim ESC immer wieder Anklang findet. Kate Miller-Heidtke, eine ausgebildete Opern-Sängerin, verhindert mit ihrer Sopran-Stimme, dass der Song zum Kitsch abgleitet. Auch bei der Inszenierung setzen die Australier auf Spektakel. Miller-Heidtke sitzt zusammen mit zwei Tänzerinnen auf einem schwankenden und sich bewegenden Eisenstab. Auf der LED-Leinwand hinter ihr geraten Planeten in Bewegung und sie scheint durchs Weltall zu schweben. Beim zweiten Semifinale am Donnerstag bekam die Nummer in der Arena in Tel Aviv viel Applaus. Australien ist ein ernst zu nehmender Anwärter auf den Sieg.

Russland: Sergey Lazarev, „Scream“

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Sergey Lazarev tritt nach 2016 zum zweiten Mal für Russland beim ESC an. Nachdem er damals das Publikumsvoting gewonnen hatte und nur die Jurys seinen Sieg verhinderten, will er in diesem Jahr die Revanche. „Scream“ ist eine Pop-Nummer von Russlands ESC-Veteran Filip Kirkorov. Wieder setzt er auf viel Bombast: Zu hämmernden Bässen steht Lazarev vor einem Spiegelkabinett und sieht sich mehrfach selbst. Da es keine normalen Spiegel, sondern LED-Wände sind, erwacht sein zweites Ich zum Leben und er tritt mit ihm in Interaktion. Auf der Bühne in Tel Aviv wirkt das eindrucksvoll, die Zuschauer zu Hause könnten von den vielen Kameraschwenks jedoch überfordert sein. Trotzdem gehört Lazarev dank seiner Ausstrahlung und Bühnenpräsenz zu den Favoriten. Anders als andere russische Kandidaten vor ihm, wirkt er nicht aufgesetzt und auf Erfolg getrimmt, sondern auch im Gespräch mit Fans in Tel Aviv sympathisch. Das gibt Pluspunkte.

Island: Hatari, „Hatrid Mun Sigra“

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Sie sind der Schocker des diesjährigen ESC: Die isländische Band Hatari tritt im Lack- und Leder-Fetischoutfit auf und singt eine Rocknummer in bester Rammstein-Manier: „Hatrid Mun Sigra“ heißt übersetzt „Hass wird siegen“ und ist als Kritik an unserer Konsumgesellschaft gemeint. Musik und Auftritt sind verstörend – Hatari bringen ihre Botschaft mit Brachialgewalt an die Zuschauer. Doch damit fallen sie auf. Weil sie anecken und polarisieren wollen, könnten sie am Ende punkten. Lordi lassen grüßen.

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