Konflikt um Inselstaat: Die Ruhe im Auge des Sturms: Wie die Taiwaner mit dem Säbelrasseln aus Peking umgehen

Konflikt um Inselstaat Die Ruhe im Auge des Sturms: Wie die Taiwaner mit dem Säbelrasseln aus Peking umgehen

Ein taiwanesischer Fischer bei der Arbeit

Ein taiwanesischer Fischer bei der Arbeit. Auf dem Inselstaat nimmt der Alltag trotz der Drohgebärden aus China größtenteils seinen gewohnten Lauf

© Annabelle Chih / Getty Images

Das Muskelprotzen Pekings im Südchinesischen Meer schürt Ängste rund um den Globus. In Taiwan, dem „gefährlichsten Ort der Welt“, sind die Menschen die Bedrohung aber gewohnt. Die Menschen lassen sich nicht einfach einschüchtern.

Ballistische Raketen landen in Gewässern um Taiwan. Militärflugzeuge und Drohnen testen die Flugabwehr. Chinesische Kriegsschiffe schießen nahe der demokratischen Inselrepublik mit scharfer Munition. Schon lange gilt Taiwan als „der gefährlichste Ort der Welt“, wie das Magazin „The Economist“ einmal titelte. Die Gefahr eines möglichen Kriegs ist den 23 Millionen Taiwanern schon lange nicht mehr so nahe gerückt wie jetzt. Doch im Auge des Sturms herrscht Ruhe – ja, auch Unbehagen, Sorge, aber vor allem Trotz und auch Stolz auf die „Insel der Widerstandskraft“, wie sie die US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi bei ihrer Visite in Taipeh rühmte.

„Sie versuchen nur, uns zu erschrecken“

Die groß angelegten Militärmanöver als Reaktion auf ihren Besuch haben die Taiwaner nur noch mehr gegen China aufgebracht. „Echt schlimm“, sagt die Kellnerin eines Cafés in Taipeh. Doch die Taiwaner sind das Säbelrasseln der Kommunisten gewohnt, gehen ihrem normalen Leben nach. Sie sind es leid, von Peking nur als Teil der Volksrepublik behandelt zu werden. Trotz der Spannungen, den größten seit Mitte der 90er-Jahre, äußern viele Unterstützung für den Besuch Pelosis – den ranghöchsten aus den USA in Taipeh seit einem Vierteljahrhundert.

„Anfangs war ich besorgt, aber jetzt bin ich stolz, das Pelosi nach Taiwan gekommen ist“, sagt Cindy Chou, Personalmanagerin eines High-Tech-Unternehmens. „Sie versuchen nur, uns zu erschrecken. Warum sollen wir zulassen, dass sie Erfolg haben?“, sagt Frau Tseng, Sekretärin einer Berufsvereinigung zu den Manövern. „Ich fühle mich bedroht, aber lehne es ab, Angst zu haben, weil das ihr Ziel ist.“

Viele Taiwanesen besuchen spontan Kurse in Zivilverteidigung, lernen, wie die Sicherheitslage ist, was im Falle einer Invasion getan oder wie Erste Hilfe geleistet werden kann. Lin Hsin-yi, Generalsekretärin einer regierungsunabhängigen Organisation, berichtet, viele ihrer Mitarbeiter hätten an Kursen teilgenommen oder wollten sie besuchen. „Die Tatsache, dass wir nicht hysterisch sind, bedeutet nicht, dass wir uns der Lage nicht bewusst sind und keine Vorbereitungen treffen.“

Börse zeigt sich wenig beeindruckt von Pekings Drohgebärden

Wenig beeindruckt von den seit langem größten militärischen Muskelspielen Chinas zeigten sich auch die Anleger an der Börse in Taipeh, die früher in solchen Lagen schon mal eingebrochen war. Nach etwas Nervosität, aber nur leichtem Rückgang, klettert der Index am Freitag wieder um 2,3 Prozent – trotz der Bilder der Schießübungen und einer versuchten See- und Luftblockade durch China im Fernsehen.

„Ich habe keine Angst, aber einige meiner Freunde fühlen sich unbehaglich und unsicher“, sagt Frau Yen, PR-Managerin eines großen Bauunternehmens. Wer wisse denn, ob die Militärübungen wirklich wie angekündigt an diesem Sonntag enden? Und es könne auch niemand sicher sein, dass Raketen, die über Taiwan geschossen werden, „nicht auch mal hier landen“. Einen Schmusekurs wie den des früheren Präsidenten Ma Ying-jeou, der eine Annäherung an China vorangetrieben hatte, lehnt sie aber ab: „Niemand hatte was davon – außer dass prochinesische Geschäftsleute profitierten und Taiwan von der Weltbühne verschwand.“

Die heutige Präsidentin Tsai Ing-wen sei „zurückhaltend und konzentriert sich auf die Wahrung des Status quo“, lobt Frau Yen. Taiwan habe mit seinem Kampf gegen die Pandemie und seiner Hilfe für andere Länder „einige Präsenz in der Welt zurückgewonnen“. „Pelosis Besuch hatte einige Vorteile und einige Kosten“, bilanziert sie. „Es mögen komplexe Motive dahinter stecken. Aber es ist offensichtlich, dass Taiwan unvorstellbare Aufmerksamkeit in den Weltmedien bekommen hat – und einmal nicht für Halbleiter, sondern indem gezeigt wird, wie Taiwans Volk für Demokratie, Freiheit, Menschenrechte kämpft, und wie sehr wir uns wünschen, diese zu schützen.“

China-Konflikt: Inwiefern stehen die USA Taiwan militärisch bei?

„Es war nie ruhig um Taiwan“

So begrüßen viele Taiwaner die internationale Aufwertung und den Rückschlag für Pekings Versuche, das Land in der Welt zu isolieren. Der Chef von Taiwans Meinungsforschungsinstitut (TPOF), You Ying-lung, meinte: „Selbst wenn China den Besuch Pelosi entschieden ablehnt und boykottiert, begrüßt die überwiegende Mehrheit der Taiwaner ihre Visite und würde von dieser Haltung auch nicht wegen des Drucks aus Peking zurückweichen.“

„Es war nie ruhig um Taiwan, und es war immer von China bedroht, so sind wir daran gewöhnt, aber das Ergebnis dieses Vorfalls ist, dass sich die meisten Taiwaner zuversichtlicher und geeinter fühlen“, schildert der Meinungsforscher. „Ist es möglich, dass die Taiwaner wirklich immun gegen Chinas Militärübungen sind?“, fragt er später listig auf Facebook und liefert gleich die Antwort: „Der Grund ist, dass wir schon viele solcher Injektionen zur Impfung hatten.“

yks / Dennis Engbarth und Andreas Landwehr DPA

Posts aus derselben Kategorie: