Johannes Strate von Revolverheld: „2022 wollen wir alle feiern, aber dann gibt es fast keinen mehr, der die Feier ausrichten kann“

Seit 18 Jahren war Revolverheld-Frontmann Johannes Strate jedes Jahr auf Tour, zu vielen Mitarbeitern seiner Bühnen-Crew hat er ein familiäres Verhältnis. Im Interview erklärt er, warum die Veranstaltungsbranche bedroht ist – und was man dagegen tun kann.

Herr Strate, unzählige Künstler und Kulturschafende leiden unter der Pandemie. Wie ist die Situation für Sie und Ihre Band Revolverheld?

Wir hatten für dieses Jahr eigentlich 50 bis 60 Konzerte geplant. Da mussten wir uns erstmal neu sortieren. Wir sind seit 18 Jahren jedes Jahr live unterwegs, und das ist jetzt das erste Jahr, in dem wir kein reguläres Konzert spielen. 

Sind Sie stattdessen ins Studio gegangen?

Ja, wir sitzen hier mit einem Haufen Songs, wissen aber noch nicht, wie’s weiter geht. Denn wir werden kein Album rausbringen, wenn nicht geklärt ist, dass man auch Touren kann. Das macht für uns überhaupt keinen Sinn.

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Wie viele Leute sind dabei, wenn Revolverheld auf Tour geht?

Das hat sich über die Jahre schleichend entwickelt. Anfangs hatten wir nur einen Sound-Mann. Über die Jahre kam immer mehr. Mittlerweile sind es 30 oder 40. Das steigert sich, je nachdem wie groß die Veranstaltungen sind.

Arbeiten Sie mit einer festen Besetzung?

Ja, wir haben einen ganz festen Kern für die wichtigsten Positionen Monitor, Sound, Licht und Tourmanagement. Das sind alles Soloselbständige. Und dann haben wir einen Pool von Leuten, bei denen wir die erste Option sind und die auch unsere erste Option sind. Die sind meistens mit dabei.

Ist das ein familiäres Verhältnis?

Ja klar. Wir haben jahrelang mit den Jungs und Mädels in einem Bus geschlafen. Wir verbringen ganze Tage mit denen, das ist total familiär. Man schläft Vorhang an Vorhang und nimmt jede Mahlzeit miteinander ein.

Wie geht es ihren Backstage-Mitarbeitern gerade?

Das ist ziemlich unterschiedlich. Einige haben ein Angestelltenverhältnis und sind in Kurzarbeit. Andere haben Jobs angenommen. Mein Lieblingsbackliner, der meine Gitarren betreut, nimmt gerade im Baumarkt die Reklamationen an. Unser Monitor-Mann hat Pakete ausgetragen. Die haben sich schnell umorientiert und geguckt, wo sie bleiben. Denn die meisten von ihnen sind über 40 und haben Familie und Kinder.

Fühlen sich diese Menschen von der Politik ausreichend unterstützt?

Es ist gut, dass wir in diesem Land so etwas haben wie Kurzarbeitergeld. Dass Menschen aufgefangen werden, die im Angestelltenverhältnis sind. Ich hab aber das Gefühl, dass die Soloselbständigen, gerade in der Veranstaltungsbranche, immer etwas belächelt werden. Deren Job wird als Rock’n’Roll-Lifestyle verklärt. Was natürlich Unsinn ist: Das sind Leute, die machen das 20, 30 Jahre, und das ist deren Broterwerb.

Das betrifft ja zigtausende Arbeitsplätze.

In Deutschland werden jedes Jahr 1,3 Milliarden Euro mit Veranstaltungen umgesetzt, auf die alle schön brav Steuern zahlen. Das ist die drittgrößte Branche in diesem Land. Ich hab schon das Gefühl, dass das etwas stiefmütterlich behandelt wird. Wir haben keine eigene Lobby, die mal schnell beim Finanzminister in Berlin am Tisch sitzt.

Sie haben Kontakt zu Konzertveranstaltern und Clubbesitzern. Was schätzen Sie, wie lange können die noch in der Pandemie durchhalten können?

Einige kleine Konzertveranstalter werden Anfang des nächsten Jahres insolvent gehen. Weil sie es schon längst sind, sie es aber noch nicht angeben müssen. Wenn der nächste Festivalsommer nicht stattfindet, dann werden auch einige große Veranstalter insolvent gehen.

Der Kulturbranche könnte also ein Kahlschlag bevorstehen?

Ja. Das Problem ist: Wenn es 2022 wieder richtig losgeht, dann wird ein Teil der Veranstaltungsbranche nicht mehr da sein. Dann wollen wir alle feiern, dass wir Corona besiegt haben, aber dann gibt es fast keinen mehr, der die Feier ausrichten kann.

Müsste der Staat da einspringen?

Es ist sehr schwer für die Politik, alles richtig zu machen. Irgendjemand kräht immer nach Ungerechtigkeit. Man sollte aber schauen, dass alle etwas vom Kuchen abkriegen. Vor allem sollte man an die Solidarität der Menschen appellieren. Im ersten Lockdown gab es ein Hilfspaket, davon wurde eine Milliarde veruntreut. Da haben Leute einfach eine Chance gewittert, Geld zu machen und haben Anträge gestellt. Das finde ich Wahnsinn.

Sie sehen jeden einzelnen in der Pflicht?

Ja. Das ist das große Problem unseres ganzen Planeten, da hole ich gerne etwas weiter aus: Wir müssen endlich anfangen, auf dieser Welt solidarisch miteinander zu sein: zwischen den Staaten, zwischen den Kontinenten, zwischen der Ersten und der Dritten Welt, mit den Flüchtlingen – das gilt eigentlich für alles.

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