Sehr geehrte Frau Peirano,
ich befinde mich seit neun Monaten in einer langweiligen Ehe. Ich wusste es von Anfang an.
Mein Mann hat sehr um mich gekämpft, das fand ich toll und ließ mich auf ihn ein. Ich habe einen kleinen Sohn und aus Angst alleinerziehend zu sein, habe ich ihn geheiratet.
Ich habe vor ihm viele, viele Männer getroffen und an jedem war irgendwas „falsch“. Ich dachte, ich könnte mich „heilen“, indem wir heiraten und hoffte, dass dann endlich dieses ewige Suchen und Fehler-entdecken vorbei ist.
Ich habe das Buch gelesen „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest.“ Mir gefielen die dort beschriebenen Ansätze und ich konnte einiges für mich anwenden.
Im Prinzip war ich vorher irgendwann in meinen Beziehungen immer gefrustet und habe dann hingeworfen, weil ich keinen Sinn mehr in der Sache sah und der festen Überzeugung war, es ginge auf jeden Fall besser. Es scheint ein Teufelskreis zu sein. Irgendwann kann ich die Partnerschaft nicht mehr schätzen und wünsche mir meine Freiheiten zurück.
Ich probiere mir jeden Tag vor Augen zu halten, weshalb mein Mann liebenswert ist und warum wir zusammen sind.
Aber ich glaube, das möchte ich nicht ein Leben lang mir aufsagen müssen.
Ich frage mich, ob ich eigene Probleme auf ihn projiziere und/oder, ob mir das bei jeder Partnerschaft passiert?
Bei dem vorherigen Mann war ich mir sicher, er wäre der Perfekte. Wir lachten viel und hatten eine emotionale tiefe Verbundenheit. Ich freute mich immer, wenn wir Zeit verbrachten, leider war er asexuell und ich sah nach fünf Monaten keinen Weg mehr, da ich nicht langfristig das Gefühl haben wollte, ihn sexuell „überreden zu müssen“.
Heute in der langweiligen Ehe frage ich mich aber täglich, weshalb ich diesen Mann mit tiefgehenden Gesprächen und viel Humor habe gehen lassen… Mein Mann ist liebenswert, aber langweilt mich. Ich habe das mit ihm mehrfach thematisiert, aber er kann ja auch nicht aus seiner Haut…
Ich würde diese Ehe so gern schätzen, aber sie frustet mich. Die vorherigen Partnerschaften fingen soviel spannender an, doch dieser Frustpunkt kommt früher oder später, dass ich keine Lust mehr habe, dran zu arbeiten. Den perfekten Partner gibt es nicht und jeder hat Macken, aber weshalb kann ich mit keinem Mann langfristig mein Glück finden und Gegebenheiten akzeptieren?
Vielen Dank für Ihre Stellungnahme und liebe Grüße
Anke B.
Liebe Anke B.,
Als ich Ihre Schilderung gelesen habe, habe ich versucht, mich in Ihre Situation und in Ihre Gedankenwelt hinein zu versetzen, und ich habe eine Mischung aus großem inneren Druck und Orientierungslosigkeit gespürt. Mir fiel es schwer, frei zu atmen, und mir wurde sogar etwas schwindlig. Geht es Ihnen auch so in Ihrem Leben?
Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich versuche einmal, die beiden Themen (innerer Druck und Orientierungslosigkeit) genauer zu beschreiben, damit Sie verstehen, was ich meine.
Innerer Druck: Sie sagen sich, dass alle potenziellen Partner einen mehr oder großen Makel haben und dass Sie irgendeine Kröte schlucken müssen. Gleichzeitig haben Sie aber bisher „viele, viele“ Männer kennen gelernt und keiner war dabei, mit dessen Fehlern Sie sich arrangieren konnten. Letztendlich heißt das ja: Wenn Sie mit einem Mann zusammen sein wollen, werden Sie leiden oder auf Ihnen wichtige Dinge verzichten (also entweder auf Sex verzichten oder auf eine emotionale Verbindung oder oder oder).
Gleichzeitig sagen Sie sich, dass Sie nicht alleine sein wollen, weil Sie nicht alleinerziehend sein wollen.
Also kommen Sie gedanklich wieder zu dem Punkt, dass Sie auf jeden Fall irgendeine große, inakzeptable Kröte schlucken müssen, wenn Sie mit einem Mann zusammen sein wollen (und das ja auch sich innerlich vornehmen).
Dazu kommt
Orientierungslosigkeit: Sie wissen anscheinend auch nicht so genau, was Sie wollen oder nicht wollen, sondern gehen erst einmal relativ unkritisch auf Männer zu und finden dann nach einiger Zeit die inakzeptablen Mängel (die Kröte) heraus und trennen sich. Bisher haben Sie anscheinend auch nicht die Erfahrung gemacht, dass man einige Probleme in der Partnerschaft lösen kann.
Sie haben sich dann eher für die Trennung entschieden und frustriert aufgegeben.
Ich würde ein paar Denkansätze und Lösungsmöglichkeiten vorschlagen, damit Sie etwas in der Hand haben, mit der Sie sich aus dieser schwierigen Kombination aus innerem Druck und Orientierungslosigkeit herausbewegen.
1. Zur Partnerwahl: Haben Sie sich einmal die Zeit genommen, in Tiefe darüber nachdenken, was für Eigenschaften der Mann haben müsste, den Sie suchen? Kennen Sie vielleicht einen Mann, der als Typ gut zu Ihnen passen würde (z.B. Ihren Bruder, den Mann einer Freundin, eine Person aus einem Film oder einer Serie?). Es ist aus meiner Sicht immer wichtig, genau zu wissen, was man eigentlich sucht, und solche Vorbilder könnten dabei helfen.
Mit welchen Eigenschaften oder Verhaltensweisen können Sie gar nicht umgehen (z.B. er ist sehr schweigsam oder er hat keine Lust, etwas zu unternehmen)?Fragen Sie doch auch einmal Ihre besten Freundinnen, was für einen Mann sie an Ihrer Seite sehen.
Es ist ein großer Vorteil, genau zu wissen, was oder wen man sucht – und wen nicht. Ein Beispiel: Ich hatte einen Patienten mit einer Gehbehinderung, der meinte er fände deswegen nie eine Partnerin. Ich habe ihm widersprochen. Er findet wahrscheinlich keine sehr bewegungsfreudige Partnerin, die an jedem Wochenende einen Gipfel erklimmen muss oder Marathon läuft. Aber er könnte eine häusliche, „gemütliche“ Partnerin finden, die gerade seine Sensibilität und Zuverlässigkeit zu schätzen weiß (und froh ist, dass kein Mann sie am Wochenende auf einen Gipfel treibt).
Wie wäre es, wenn Sie das einmal für sich ausarbeiten, auch mit Beispiele aus früheren Beziehungen und absoluten Tabuthemen (wenn er gebunden ist, wenn er trinkt).
Wo haben Sie bisher Männer kennen gelernt? Online? Vielleicht können Sie auch da etwas spezifischer werden. Wenn ich stundenlang am Karpfenteich sitze, fange ich garantiert keinen Hirsch. Wenn ich einen Hirsch will, müsste ich mich vielleicht auf einen Hochsitz begeben. Was glauben Sie, wo Männer sich aufhalten, die Ihnen gefallen?
2. Zu Problemlösungen in Partnerschaften: Welche Erfahrungen haben Sie selbst gemacht, wie man Probleme in Partnerschaften lösen kann? Was für Erfahrungen haben Sie in Ihrem Umfeld (oder auch gerne bei Beispielen aus Büchern und Filmen) beobachtet?
Es wäre sehr wichtig, genau zu wissen, was veränderbar ist (z.B. ich möchte ansprechen, dass ich in einer Partnerschaft auch Freiraum für eigene Freundschaften und Interessen haben möchte) und was nicht veränderbar ist (mein Partner redet über Dinge, die ich nicht interessant finde, wir haben nicht die gleiche Wellenlänge; oder er hat ein Alkoholproblem).
3. Zu der Frage, ob Sie sich von Ihrem Partner trennen: Ist Ihnen bewusst, dass Sie Ihr Selbstwertgefühl und Ihr Selbstvertrauen massiv schwächen, indem Sie sich nicht selbst Glauben schenken? Fachlich nennt man das „invalidieren“ also entwerten. Ich invalidiere meine Tochter, wenn sie mir sagt, dass sie Angst vor der Schule hat und ich ihr sage: „Papperlapp, das ist doch gar nicht schlimm. Man muss sich auch mal zusammen reißen.“
Meine Tochter merkt, dass ich ihren Gefühlen (immerhin ein sehr wichtiger Teil von ihr!) nicht glaube, diese nicht wertschätze und zudem von ihr verlange, dass sie anders ist (mutig), als sie ist (vorsichtig, ängstlich).
Sie entwerten sich selbst massiv, indem Sie sich selbst als zu anspruchsvoll hinstellen, der kein Partner es Recht machen kann und indem Sie sich sagen, dass Sie alleine nicht leben können.
Wie wäre es, den Gedanken, alleine zu sein, einmal in Ruhe zu durchdenken? Als Anregung empfehle ich Ihnen das Buch:
„Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht. Eine Streitschrift“
von Gunda Windmüller.
Dabei wird mit dem Glauben aufgeräumt, dass eine Partnerschaft zum Glück zwingend dazu gehört und außerdem ein Finger auf das Minusgeschäft gelegt, das viele Frauen in Beziehungen machen.
Ich glaube, dass der Titel: „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“ ein falsches Versprechen geweckt hat und Sie noch weiter invalidiert hat.
Liebe dich selbst ist eine gute Idee und eine sehr wichtige Voraussetzung für partnerschaftliches Glück. Aber die Aussage, dass es egal sei, wen man heiratet, verursacht bei mir starkes Kopfschütteln und Verwirrung. Ich jedenfalls möchte nicht einen Zufallskandidaten aus dem Telefonbuch heiraten und mir einreden, ich mache etwas falsch, wenn ich mit ihm nicht glücklich bin.
Und noch eine letzte Anregung: Wie wäre es, wenn Sie sich therapeutische Unterstützung holen, um an Ihrem Selbstwertgefühl zu arbeiten und herauszufinden, was Sie wirklich wollen? Es kann sein, dass die Krankenkassen die Therapie nicht bezahlen, wenn Sie keine Diagnose erfüllen (z.B. Depression, Posttraumatische Belastungsstörung etc). Dennoch lohnt es sich bestimmt, die Therapie selbst zu bezahlen. Zum Beispiel bieten kirchliche Beratungsstellen Beratungen zu fairen Preisen an. Oder Sie leisten sich alle paar Wochen eine Sitzung bei einer Therapeutin.
Ich wünsche Ihnen viel Freude dabei, Ihre Wünsche und Ziele besser kennen zu lernen. Und dann wird sich die Frage nach dem Fortsetzen Ihrer Ehe auch von selbst beantworten.
Viele Grüße,
Julia Peirano
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